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Schwere Vorwürfe

Das Eidgenössische Schwingfest ignoriert Sorgen um die Sicherheit

Recherchen zeigen: Beim Eidgenössischen in Pratteln werden nicht alle Vorschläge der Sicherheitsspezialisten umgesetzt. Der Sicherheitschef ist zurückgetreten.

Sicherheitschef weg, mehrfache Anmahnung von Mängeln: 84 Tage vor dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Pratteln gibt es schwere Bedenken, was das Sicherheitskonzept betrifft. Das geht aus Gesprächen mit Beteiligten hervor sowie aus Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen.

Es geht darum, wie bei einem Ernstfall rund 52’000 Menschen evakuiert werden können, die sich im Fall einer ausverkauften Arena auf dem Festgelände aufhalten. Es ist die Rede davon, dass im südlichen Teil Fluchtwege für rund 2000 Personen Bemängelt werden zu wenig Fläche für die erwarteten Menschenmassen, eine zu dichte Bestuhlung und Möblierungen wie Sonnenschirme, Festbänke oder Brunnen, die bei einer Panik zu Stolperfallen werden könnten. In einem Schreiben wird sogar angemerkt, die Evakuierung eines Geländeteils könne «nicht normgerecht» durchgeführt werden.

 

«Ich wollte die Verantwortung nicht mehr tragen»

Mindestens seit November 2021 weiss das vom Baselbieter Regierungsrat Thomas Weber (SVP) präsidierte Organisationskomitee von den Vorbehalten gegenüber dem Sicherheitskonzept. Der Konflikt aber besteht bis heute. Ende April 2022 zieht sich Sicherheitschef Marcus Müller deswegen von seinem Amt zurück.

Auf Anfrage sagt Müller zu seinem Rücktritt: «Unsere Sicherheitshinweise wurden nicht immer ernst genommen. Das Finanzielle wurde in den Vordergrund gestellt. Am Ende wollte ich die Verantwortung nicht mehr tragen.»

Bis zu seiner Pensionierung war Müller während 21 Jahren Leiter des Kantonalen Krisenstabs und Amtsleiter Militär und Bevölkerungsschutz im Kanton Baselland. Mit seiner Erfahrung sagt er: «Es gibt Normen und Regeln, die man einhalten muss. Dazu sind sie nämlich da.» Und: «Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber ich muss die Restrisiken kennen und verantworten können.»

Das Organisationskomitee beantwortet die Fragen schriftlich via Geschäftsführer Matthias Hubeli. Es schreibt: «Aktuell nehmen wir die Detailplanung vor, sodass alle Vorgaben in den verschiedenen Sicherheitsbereichen wie Evakuation und Brandschutz eingehalten werden.» Es bestätigt allerdings auch, dass seit Müllers Rücktritt «keine Anpassungen und Änderungen» am Sicherheitskonzept vorgenommen wurden.

 

Das grosse Problem in Pratteln ist das Festgelände: Es ist auf drei Seiten begrenzt. Eine Autobahn, eine Zuglinie und der abfallende Hülftengraben samt Bach bilden eine Art Sackgasse. Darum ist es so schwierig, die Menschen aus dem südlichen Teil zu evakuieren.

Trotzdem hat sich das Schwingfest entschieden, nicht bloss 47’200 Zuschauende in die Arena zu lassen, wie es ursprünglich geplant war. Jetzt gibt es 50’900 Plätze, was auf der offiziellen Website mit der grossen Nachfrage durch Sponsoren begründet wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wegen der schwierigen Lage der Arena und der grossen Menschenmenge fällt bei den Recherchegesprächen zu dieser Geschichte mehrfach das Stichwort «Duisburg». Dort starben 2010 bei der Loveparade 21 Menschen im Gedränge einer Massenpanik, die sich in einem beengten Zugangsbereich stauten.

Um ein derartiges Horrorszenario zu verhindern, arbeitet das Schwingfest mit der Firma Gruner zusammen. Sie hat unter anderem das Entfluchtungskonzept des grössten Fussballstadions der Schweiz entwickelt, des Basler St.-Jakob-Parks.

Sparauftrag für die Entfluchtung

Gemäss Informationen dieser Zeitung folgt das Organisationskomitee nicht allen Empfehlungen der Spezialisten von Gruner. Stattdessen wird aus einem Dokument ersichtlich, dass im November ein Sparauftrag ergeht, der auch die Entfluchtung betrifft. So soll einerseits bei Massnahmen gespart werden, die bei der raschen Flucht der Festbesucher helfen. Andererseits wird angeregt, im Falle eines Unglücks alle Prozesskosten jener zu decken, die als Verantwortliche vor Gericht juristisch belangt werden könnten.

Die Firma Gruner selber schweigt und verweist für Auskünfte zurück auf das Schwingfest. Dieses antwortet auf die Frage, ob alle von Gruner angeregten Massnahmen umgesetzt werden: «Wir nehmen die Empfehlungen auf und suchen im Dialog nach den am besten auf unsere Gegebenheiten passenden Lösungen.»

Zur Sicherheit am Fest schreibt das Organisationskomitee: «Wir setzen alles daran, in allen Bereichen unserer Verantwortung gerecht zu werden – selbstverständlich auch im Bereich der Sicherheit.» Und: «Wir stellen durch verschiedene Massnahmen sicher, dass eine Evakuation des Festgeländes jederzeit möglich ist.»

Bei der Sicherheit darf nicht gespart werden

Noch ist Zeit, um die Vorgaben umzusetzen, die Sicherheitsexperten für das Schwingfest fordern. In der Verantwortung steht am Ende der Baselbieter Regierungsrat Thomas Weber.

MEINUNG Florian Raz

Müssen beim Sicherheitskonzept noch nachbessern: OK-Präsident und Regierungsrat Thomas Weber (l.) mit Geschäftsführer Matthias Hubeli, hier auf dem Festgelände des Eidgenössischen in Pratteln.

Foto: Georgios Kefalas (Keystone) 

Seit Monaten weiss das Organisationskomitee des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests von Kritik am Sicherheitskonzept. Trotzdem hat es bis heute nicht alle Vorgaben umgesetzt, die eine auf Grossanlässe spezialisierte Firma gemacht hat.

Gleichzeitig wird die Anzahl der Zuschauerinnen auf Druck der Sponsoren erhöht. Und es wird angedacht, den Sicherheitsverantwortlichen für den Ernstfall gratis juristische Hilfe hinsichtlich möglicher gerichtlicher Folgen anzubieten.

 

Das alles hinterlässt den unangenehmen Eindruck, dass beim Eidgenössischen Finanzen über die Sicherheit gestellt werden.

 

Das alles hinterlässt den unangenehmen Eindruck, dass beim Eidgenössischen der finanzielle Erfolg über die Sicherheit gestellt wird. Dass davon ausgegangen wird, dass schon nichts passieren wird. Und wenn doch? Geld vor Menschenleben? Das darf nicht sein.

 

Noch ist Zeit. Noch hat die Organisation die Möglichkeit, ihre Pläne den Vorgaben der Spezialisten anzupassen. Dafür sorgen muss in letzter Konsequenz Thomas Weber. Der Baselbieter Regierungsrat ist Präsident des Organisationskomitees. Er steht damit in der Verantwortung, dass Ende August in Pratteln alles getan wird, um die Sicherheit der Festbesucher zu garantieren.

Ist Ihr Event bzw. die Infrastruktur wie Mehrzweckhallen und öffentliche Räume usw. sicher ?

Gerne beurteilen wir Ihre Infrastruktur betreffend Fluchtwege, Brandschutz aber auch die Alltagstauglichkeit bei Brüstungen, Geländer und Treppen.

Ein grosses Dankeschön geht an den Journalisten Florian Raz für den Artikel.

Quelle: Berner Zeitung vom 03.06.2022 Florian Raz

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